24 Beiträge zu Underachievement: Unsere Erkenntnisse aus zwei Jahren Blog
„Underachiever stören doch nur“ und „Begabungsförderung gibt es eh’ nur für Leistungsstarke“? Mit unserem Blog „Underachievement in der Schule“, der in den Jahren 2022/23 hier auf dem Fachportal entstanden ist, war es uns wichtig, die Wahrnehmung des Themas Underachievement zu verändern, neue Perspektiven aufzuzeigen und Impulse zur Förderung zu setzen.
Entstanden sind 24 interessante Beiträge, die verschiedene Themengebiete aufgreifen. Zum Abschluss schaffen wir einen Überblick, um interessengeleitet nachlesen zu können. Dazu haben wir die Beiträge in vier Themenclustern zusammengestellt und ihre Essenzen in kurzen Absätzen zusammengefasst. Die zugehörigen Grafiken stellen dar, welche Beiträge welchem thematischen Schwerpunkt zugeordnet wurden. Stichworte geben jeweils einen kurzen Hinweis auf die Inhalte des Beitrags. Über die Links im Text können die Beiträge direkt aufgerufen werden.
Dezember 2023
Von: Wiebke Evers
Cluster 1: Underachievement im Blick – Was, wie und wer?
Um das Thema Underachievement ranken sich – wie auch um Hochbegabung – einige Mythen (Blogbeitrag 1). Der Blick auf hochbegabte Underachiever:innen (Blogbeitrag 2) ist dabei oft belastet von Unverständnis (Blogbeitrag 12) und problematischen Glaubenssätzen (Blogbeitrag 13), die den Betroffenen bei der Bewältigung von Underachievement noch zusätzlich im Weg stehen.
Hinter der Diagnose Underachievement steckt mehr als nur „hinter den eigenen Potenzialen zurückzubleiben“ (Blogbeitrag 19). Sie ist ein Indiz für eine größere Krise, eine schwierige und manchmal ausweglos erscheinende Situation. Underachievement fordert. Es fordert die Betroffenen, ihre Familien, die Lehrkräfte und die Beratenden.
Wie (Hoch-)Begabung hat auch Underachievement viele Gesichter. Unentdeckt bleiben beide besonders dann, wenn sie in ihrer Erscheinungsform nicht den gängigen Stereotypen entsprechen, wie es zum Beispiel bei Mädchen der Fall sein kann (Blogbeitrag 8). Underachievement, das den Unterricht stört, ist auch viel schwieriger zu übersehen, als Underachievement, das still, aber genauso unglücklich am Tisch sitzt. Unsere Aufmerksamkeit brauchen beide.
Cluster 2: Der Blick aufs große Ganze – Bedingungsfaktoren & Zusammenhänge
Underachievement kann viele Gründe haben: lähmende Prüfungsangst, fehlende Motivation (Blogbeitrag 14), mangelnde Selbstregulation und -organisation ... Die Gründe allerdings nur aufseiten der Schüler:innen zu suchen, ist kurzsichtig. Mindestens genauso intensiv müssen die Umgebungsfaktoren, also der schulische und der familiäre Kontext (Blogbeitrag 20) sowie deren Wechselwirkungen betrachtet werden.
Lange Phasen der Langeweile und Unterforderung (Blogbeitrag 18) – oft schon seit der Kita (Blogbeitrag 10) – führen dazu, dass die Motivation fürs Lernen nachlässt. So entstehen mit der Zeit nicht nur klaffende Wissenslücken, auch wichtige Kompetenzen wie die Exekutiven Funktionen können nicht richtig entwickelt werden (Blogbeitrag 7).
Sicherlich ist es nicht immer nötig, bei Underachievement den gesamten Bildungsweg nach möglichen Ursachen zu durchforsten. Aber frühe Erfahrungen von Schüler:innen wirken häufig nachhaltig auf ihre Wahrnehmung der eigenen Kompetenzen, ihrer besonderen Begabungen und ihrer Person. Oft gehörte Äußerungen wie „Du weißt eh’ alles, lass die anderen doch auch mal“ und „Du schreibst sowieso die beste Arbeit“ vermitteln besonders begabten Schüler:innen, dass ihre Bedürfnisse und Lernfortschritte wenig relevant sind. Solche Äußerungen lassen aber auch den Eindruck entstehen, dass die Schüler:innen eben auch alles wissen sollten und Lernen nur etwas für „Doofe“ ist. Die daraus entstehenden Glaubenssätze über sich selbst und die eigene Begabung können dazu führen, dass sich der eigene Selbstwert sehr eng mit Schulerfolg verknüpft (Blogbeitrag 6) und bei Misserfolg das eigene Selbstwertgefühl folglich massiv leidet.
Wenn nicht gehandelt wird, kann Underachievement langfristige und tatsächlich lebenslange Folgen haben. Underachievement steht in Zusammenhang mit psychischen Problemen wie Depressionen, Angststörungen und selbstverletzendem Verhalten. Es kann zu Schulabstinenz führen, fehlende Schulabschlüsse zur Folge haben und damit den weiteren Bildungsweg verbauen. Das ist besonders dramatisch, da sich nach dem Schulabschluss endlich die lang ersehnten Wahlmöglichkeiten bieten, mehr Freiheit und Autonomie sowie interessante neue Herausforderungen winken.
Ein guter Routenplan ist wichtig, um den möglichen Ursachen von Underachievement auf den Grund zu gehen und ihnen entgegenzuwirken (Blogbeitrag 16). Weltweit gibt es einige Interventionsprogramme, von denen ein Teil wissenschaftlich auf ihre Wirksamkeit hin geprüft wurde (Blogbeitrag 3). Manche Ansätze konzentrieren sich darauf, die Schüler:innen im Aufbau fehlender Fähigkeiten (wie z.B. den metakognitiven Fähigkeiten: Blogbeitrag 23) zu unterstützen, während andere eher auf die persönliche Begleitung und Beratung setzen.
Eine gute Beratung der Betroffenen, ihrer Familien und auch der Lehrkräfte ist bei Underachievement sehr wichtig (Blogbeitrag 9). Professionelle Beratung kann dabei helfen, die komplexen Ursachen zu verstehen und nach einem oft langen Leidensweg den Fokus auf positive Aspekte zu lenken. Im Idealfall werden in die Beratung alle Beteiligten einbezogen und gemeinsam Lösungsansätze entwickelt.
Erfolgreiche Intervention braucht einen sicheren Rahmen, getragen von einer vertrauensvollen Beziehung. Wenn das Vertrauen in das Bildungssystem und die darin tätigen Personen bereits nachhaltig erschüttert ist, kann es manchmal dauern, bis eine solche Beziehung aufgebaut ist. Hier kann Mentoring ein vielversprechender Ansatz sein, da es die bisherigen Rollen neu definiert und sich so neue Wege in der Art der Begleitung eröffnen (Blogbeitrag 5).
Der Erfolg einer Intervention hängt stark davon ab, wie schnell Underachievement erkannt wird. Darum ist die Prävention, also ein Eingreifen bevor sich Underachievement verfestigen kann, sehr wichtig (Blogbeitrag 11). Im Lerncoaching wird vieles vereint, um die Entwicklung von Underachievement zu verhindern (Blogbeitrag 24). Mit „anlasslosen“ Coachingangeboten kann nicht nur der Beziehungsaufbau zu Lehrkräften als wichtige Lernbegleiter gelingen, sondern auch die benötigten Kompetenzen für autonomes Lernen aufgebaut werden.
Cluster 4: Ein (Um-)Feld zum Wachsen – Haltung, Kommunikation & Kreativität
Allein finden die betroffenen Schüler:innen meist nicht aus ihrer Situation heraus. Sie sind also davon abhängig, ob sie auf jemanden treffen, der genauer hinschaut und sich in die Verantwortung begibt. Statt das Schicksal von Underachiever:innen dem Zufall zu überlassen, braucht es klare Zuständigkeiten und Vorgehensweisen, die eine gemeinsame Haltung (Blogbeitrag 4) des gesamten Schulkollegiums ausdrücken (siehe unser Film zum Thema Underachievement). Zusätzlich müssen die nötigen Ressourcen vorhanden sein, die es für die Begleitung der Betroffenen braucht.
Wieder ins Gespräch zu kommen, ist ein wichtiger erster Schritt. Optimal ist es, wenn alle Beteiligten es schaffen, eine wertschätzende Kommunikationsebene zu finden, die stärken- und lösungsorientiert ist (Blogbeitrag 17). Wenn Schule und Eltern gut zusammenarbeiten, zeigt das den betroffenen Schüler:innen, dass sie wichtig sind, und gibt ihnen Hoffnung, dass sie die momentane Belastung überwinden können. Dafür braucht es Räume für Begegnung, die auch den Familien offenstehen und Austausch ermöglichen, wie zum Beispiel Familiencafés (siehe unser Film zum Thema Underachievement) und Elternwerkstätten (Blogbeitrag 15).
Der Umgang mit Underachievement verlangt nach Freiheit und Kreativität. Einige Schulen machen vor, wie sie ihren Unterricht innovativ individualisieren (Blogbeitrag 21). Um Underachiever:innen wieder fürs Lernen zu motivieren, setzen sie zum Beispiel Künstliche Intelligenz im Unterricht ein (Blogbeitrag 22) oder bieten Alternativen zu den klassischen Leistungsnachweisen an. Auch hier braucht es einen klaren Blick für die Stärken und Interessen. Betroffenen Schüler:innen bietet der (Schul-)Alltag meist wenig Gelegenheit, um ihr Selbstvertrauen wiederaufzubauen. Situationen zu schaffen, in denen sie sich wohl und kompetent fühlen, ist darum sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Kontext wichtig.
Fazit
Underachievement zeigt uns einen Missstand auf. Sehen wir hin oder sehen wir weg? Sind uns die Schüler:innen wichtig genug, um Engagement zu zeigen und die nötigen Ressourcen zu aktivieren? Wir hoffen sehr, dass der Blog einen Beitrag dazu leisten konnte, dass mehr Personen diese Fragen mit „Ja“ beantworten.